Ich benutze hier mal lieber den Begriff des Kopfmenschen, der viel lieber ist und auch so ein schönes Gegenstück, den Bauchmenschen besitzt.
Der Kopfmensch zeichnet sich durch seine rationale wenig von Emotionen getrübte Handlungsweise aus. Er ist in der Lage seine Gemütslage weitgehend zur Seite zu legen und Entscheidungen logisch und wohl durchdacht zu treffen und vorzutragen. Fein.
Die breite Masse der Menschen auf der Straße neigt nun dazu, alles zu vereinfachen, und alle Mitmenschen, die irgendwie Schwierigkeiten haben mit Emotionen »normal« umzugehen als Kopfmenschen zu bezeichnen.
So einfach wie dieser Rückschluss ist, so falsch ist er auch. Denn was ist mit den Menschen, die überhaupt nicht in der Lage sind die feinen emotionalen Nuancen seiner Mitmenschen zu erkennen und/oder zu interpretieren? Nix!
Solche Menschen sind zwar schon seit mittlerweile einem Jahrhundert bekannt, aber eben nur bei den Fachmedizinern der Psychiatrie. Erst 1992 fanden die Erkenntnisse aus der Forschung ihren Weg in das medizinische Klassifikationssystem ICD der WHO und wurde dort lange als Asperger-Syndrom bezeichnet. Man bemüht sich nun, durch die Verwendung des Begriffs Autismus-Spektrum-Störung (ASS), deutlich zu machen, dass die Vielfältigkeit der Symptome nicht mit denen durch Hans Asperger beschriebenen endet.
Menschen mit ASS haben vielerlei Probleme im Umgang mit ihren Mitmenschen. Sie sind jedoch keine Autisten und fallen daher in unserer weitgehend unpersönlichen Gesellschaft nicht sofort auf.
Ein Aspekt von ASS ist, das die betroffenen oft nicht in der Lage sind die Emotionen ihrer Mitmenschen intuitiv wahrzunehmen. Der Mensch lernt bekanntlich vieles im Bereich der sozialen Interaktion durch nachahmen. Da wird es dann schwer, wenn man nichts sieht, das man nachahmen könnte.
Lediglich im Bemühen sich irgendwie in die Gesellschaft zu integrieren führt im Laufe der Jahre zu einer begrenzten Fähigkeit, einige besonders deutliche Emotionen zu erkennen. Damit ist aber immer noch nicht sichergestellt, dass die Reaktion auf solch offensichtliche Emotionen angemessen sind, oft scheitern diese kläglich.
Und was hat das alles mit dem Kopfmenschen zutun? Nix!
Darin liegt nun das Problem. Wenn es um das Treffen rationaler Entscheidungen geht, wird der Kopfmensch sich nicht wesentlich von einem mit ASS unterscheiden. Das liegt aber nicht etwa daran, ein Mensch mit ASS keine Emotionen besitzt. Er hat sicher genauso viele und fein abgestufte Emotionen wie jeder andere Mensch auch. Aber wenn es um das Treffen von Entscheidungen geht, wird er nicht von den Emotionen in seinem direkten Umfeld abgelenkt. Das macht es ihm natürlich einfacher, rational zu bleiben.
Doch ein Problem bleibt und deswegen habe ich das alles hier aufgeschrieben.
Ein Mensch mit ASS kann die Beeinflussung durch Emotionen nicht nach belieben ein- und ausschalten. Er kann nur durch intellektuell erfassbare Quellen seine Fähigkeiten schulen, um die Emotionen anderer besser zu verstehen und darauf angemessen reagieren zu können. Auch im Ausdruck seiner eigenen Emotionen wird er immer nur auf diese Quellen zurückgreifen können. Persönliche Erfahrungen spielen dabei keine große Rolle, da man ja die Gegenreaktionen nicht wirklich einordnen kann. Ein perverser Teufelskreis, denn die non-verbale Kommunikation über den Ausdruck von Emotionen ist ein wesentlicher Bestandteil der sozialen Integration.
Wenn ihr also wieder einmal auf einen Menschen trefft, der irgendwie mit wenig Emotionen beschlagen zu sein scheint, dann tut mir einen Gefallen und werft ihm seinen Mangel nicht vor oder nennt ihn gar einen Kopfmenschen, als hätte er irgendeinen Einfluss auf seinen Mangel.
Von Geburt an aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein und keine Chance auf einen voll umfänglichen Zugang zu ihr zu haben, ist Strafe genug.